Wie schon in den Jahren zuvor gibt es auch dieses Jahr in der Facebook-Büchergruppe Die Bookaholics Deutschland eine Listenaktion, in der man seine Top 10 Bücher zu einem bestimmten Thema vorstellen kann. Dieses Jahr ist das Thema: Lieblingsprotagonisten. Dabei geht es ausschließlich um die persönlichen Vorlieben. Und dies ist meine Liste. Sie ist vom heutigem Stand (16.07.2019) und könnte in ein paar Wochen oder Monaten schon wieder ganz anders aussehen. Die Reihenfolge unterliegt keiner Wertung.

1. Die erste Lieblingsprotagonistin hat es quasi auf den letzten Drücker geschafft, denn das Buch habe ich kürzlich erst beendet. Kya ist der Name des Mädchens, später Frau, aus dem Buch mit dem gewöhnungsbedürftigen Titel „Der Gesang der Flusskrebse“ von Delia Owens. Im Prolog des Romans erfahren wir, dass ein junger Mann im Jahr 1969 tot aufgefunden wurde. War es Mord oder ein Unfall? Dies bleibt lange Zeit im ungewissen. Die eigentliche Geschichte beginnt dann in den 50er Jahren, wo wir Kya und ihre Familie kennen lernen. Die Sippe lebt in tiefster Armut in den Marschen, einem sumpfähnlichen Gebiet. Nach und nach fliehen Kyas Mutter und ihre Geschwister vor dem gewalttätigen Vater und selbst der lässt das kleine Mädchen später im Stich. So wächst sie alleine und weitestgehend isoliert auf. Wäre da nicht Tate, ein älterer Junge, der sich des Mädchens annimmt und ihr das Lesen beibringt, wäre sie wohl zu einer Wilden geworden. So aber entwickelt sie sich zu einer intelligenten, wenn auch scheuen jungen Frau. Im Laufe der Jahre kreuzen sich auch die Wege von Kya und dem im Prolog erwähnten Toten … Das Buch ist zu einem kleinen Teil Kriminalroman, zum Teil Familiendrama, aber hauptsächlich ist es die Lebensgeschichte einer äußerst ungewöhnlichen Frau.

Meine Lieblingsprotagonisten2. Auch meine zweite Vorstellung ist eine junge Frau aus dem Süden der USA. Kennengelernt habe ich sie im Film Winter’s Bone, wo sie von Jennifer Lawrence eindrucksvoll gespielt wird. Erst später habe ich dann auch das gleichnamige Buch von Daniel Woodrell gelesen. Woodrell, einer meiner Lieblingsautoren, hat mit Ree Dolly eine Figur erschaffen, die dem Leser lange im Gedächtnis bleibt. Sie wächst in ähnlichen Verhältnissen auf wie oben erwähnte Kya, ist aber ein gänzlich anderer Charakter. Sie lässt sich durch nichts und niemanden unterkriegen, nicht von brutalen Männern, nicht von ebenso brutalen Frauen und auch nicht von der Armut und Perspektivlosigkeit. Eine richtig starke Frau!

3. Ich hoffe, jetzt wird es nicht zu langweilig, denn meine dritte Protagonistin ähnelt den beiden ersten sehr. Wieder handelt es sich um eine junge Frau, die in ärmlichen Verhältnissen aufwächst, auf sich allein gestellt ihren Weg gehen muss, aber nicht zu zerbrechen ist. „Margo“ ist ein echtes Naturkind und kann schießen wie ein alter Trapper. Nach dem Tod ihres Vaters erlebt sie eine Art Road Trip auf dem Stark River. Auf dem Klappentext steht: „Eine Odyssee, die zu gleichen Teilen aus Huck Finn und Der roten Zora zu bestehen scheint.“ Und für die NY-Times ist das Buch „Stromschnellen“ von Bonnie Jo Campbell „eine exzellente Parabel über die Freiheit“. Dem ist nichts hinzuzufügen.

4. Ash ist ein Soldat im amerikanischen Bürgerkrieg, der im Laufe der Zeit zu einer Legende der Nordstaatenarmee wird. Das ist nun eigentlich nichts ungewöhnliches und ich bin mir nicht mal sicher, ob allein diese Tatsache mich dazu bewogen hätte, das Buch „Die Zweige der Esche“ von Laird Hunt überhaupt zu lesen. Aber Ash heißt eigentlich Constance, die als Mann verkleidet in den Krieg zieht. Die Geschichte wird aus Sicht von Constance/Ash bewegend, aber auch realistisch erzählt. Wir erfahren, wie sie sich freiwillig meldet, eine kurze Ausbildung erhält und dann ins Gefecht geworfen wird. Als sie später über das Schlachtfeld irrt, erinnert die Erzählweise stark an Remarques „Im Westen nichts Neues“. Drastisch und wortgewandt werden die Schrecken des Krieges beschrieben und wie die Menschen, Soldaten wie Zivilisten, leiden und sich auch innerlich verändern. Ash’s Weg führt nach einer Verwundung in eine unmenschliche Gefangenschaft, sie erfährt Zuneigung und erlebt Verrat und schafft es dennoch, wieder zur heimischen Farm zurückzukehren. Doch auch hier ist nichts mehr so wie vor dem Krieg …

5. Sie ist eine kluge, starke, selbstständige und, für die Zeit, sehr emanzipierte Frau mit einer echten Berliner Schnauze. Charly (Charlotte) Ritter ist von Anfang an die weibliche Hauptfigur in den Krimis von Volker Kutscher, die in den 30er und 40er Jahren in Berlin spielen. Ihren Partner Gereon Rath mag ich überhaupt nicht. Der ist ein Karrierist, Schleimer nach oben und gleichermaßen „Nachuntentreter“ und auch untreuer Ehemann. Dies alles aber nicht überzeichnet, sondern vom Autor sehr lebensnah geschildert, sodass diese Charakterisierung ein Plus der Bücher ist. Charly dagegen ist die Sympathieträgerin der Krimireihe. Sie ist loyal, mutig, immer für einen „flotten“ (das wäre ihre Ausdrucksweise) Spruch gut und für mich sind ihre Auftritte in den Büchern fast immer die Highlights. Bis jetzt gibt es 7 Bände und einige Kurzgeschichten, die man aber nicht kennen muss, um der Serie zu folgen. Zusätzlich, und von mir empfohlen, gibt es noch das Büchlein „Moabit“. In diesem Kurzroman wird die Vorgeschichte von Charly erzählt und ist angereichert mit Illustrationen von der tollen Kat Menschik. Wer bisher nur die TV-Serie „Babylon Berlin“ kennt, die auf dem ersten Band der Reihe aufbaut, sollte die dort vorgestellte Charly ganz schnell vergessen. Außer der „großen Klappe“ haben die beiden Figuren nicht viel gemein. Die „echte“ Charly ist um einiges interessanter und tiefgründiger als die TV-Kopie.

6. Kommen wir zur Fantasy. Hier habe ich wieder eine recht ungewöhnliche Figur zu meinem Liebling auserkoren – einen Hofnarr! Der „Narr“, wie er von allen gerufen wird, ist eine der wichtigsten Figuren der Weitseher-Reihe, die wiederum Teil der „The Realm of the Elderlings“ Serie von Robin Hobb ist. Natürlich ist der Narr vielmehr als nur ein einfacher Hofnarr. Er ist ein vielschichtiges Wesen, dass in im Laufe der Jahre in verschieden Körpern auftritt. Grundsätzlich treu und loyal seinem König und seinen Freunden – vor allem Fitz Weitseher, der Hauptfigur der Serie – gegenüber, muss er doch einer Bestimmung folgen, die seine Freunde und Gefährten oftmals (ver)zweifeln lässt. Die Autorin Robin Hobb versteht es unnachahmlich gut, Geschichten zu erzählen und ihre Figuren zu etwas besonderen zu machen. Bei dem Narren so gut, dass ich den „eigenartigen“ Kerl lieb gewonnen habe.

7. Meine Lieblingsfigur in historischen Romanen ist ein „alter“ Mann, der mit 60 Jahren nochmal mit seinen Männern in den Krieg zieht. Nicht zum ersten mal, denn es handelt sich um eine Reihe mit aktuell 11 Bänden. Die Rede ist von Uhtred von Bebbanburg, dem Sohn eines northumbrischen Fürsten, der als Kind nach einer Schlacht gegen die Dänen von ebendiesen entführt wird. Im ersten Band wird er von Ragnar, einem dänischen Anführer, wie ein Sohn erzogen. In den folgenden Romanen begleitet der Leser Uhtred durch rund 50 Jahre seines bewegten Lebens im 9. und 10. Jahrhundert, in dem er vielen historisch verbürgten Persönlichkeiten begegnet. Diese Integration von fiktiven Figuren wie Uhtred, mit tatsächlichen Personen, wie z.B. König Alfred, dem Wikinger Ubba, ein Sohn von dem legendären Ragnar Lodbrok, und vielen anderen, ist eine der Stärken der Serie von Bernard Cornwell. Auch die realistische Handlung, gänzlich ohne Ritterromantik oder andere verklärende Stilelemente, heben die Serie aus der Masse heraus. Aber was macht Uhtred so aus, dass ich ihn als Lieblingsfigur erwähne? Zum einen sein vielschichtiger Charakter. Er ist grundsätzlich fair, aber auch rachsüchtig und mitunter äußerst brutal. Zum anderen seine innere Zerrissenheit; er hat den heidnischen Glauben der Wikinger angenommen, verachtet die christliche Religion (was er immer wieder durch witzige, bissige Kommentare, aber auch derbe Handlungen unterstreicht) und ist doch immer wieder durch Eide dazu gezwungen, für den westsächsischen König Alfred (später dessen Erben) gegen die Dänen und Norweger in den Krieg zu ziehen. Ich mag den ollen Earsling einfach.

8. Ein weiterer Lieblingsprotagonist ist ebenfalls ein nicht mehr ganz junger Mann. Ins Leben gerufen wurde er von seinem geistigen Schöpfer schon 1971 und es dauerte 38 Jahre, ehe es – kleiner Gruß an alle Fans von G. R. R. Martin – zu einer Fortsetzung kam. In den Jahren dazwischen war der Autor James Lee Burke aber keineswegs untätig, sondern hat mit Dave Robicheaux eine sehr beliebte Serienfigur erschaffen. Mir gefallen aber die Romane um die weit verzweigte Holland-Sippe am besten und meine Lieblingsfigur ist Hackberry Holland, der Jüngere. Im oben erwähnten ersten Band „Zeit der Ernte“ ist er ein versoffener und in einer unglücklichen Ehe gefangener „Hurenbock“ und Anwalt mit politischen Ambitionen – also alles andere als sympathisch. Im Laufe des Romans erkennt man aber, dass er ein soziales Gewissen hat und ein gar nicht mal so übler Kerl ist. Die vielen Jahre, die zwischen Band eins und zwei liegen, hat Burke dann auch mit in die Serie übertragen und der Leser erfährt beim lesen des zweiten Bandes, was aus Hackberry in den vergangenen Jahrzehnten geworden ist. Ich würde die dreibändige Reihe schon als Pflichtlektüre für Fans von Südstaatenromanen bezeichnen.

9. Einige ListenteilnehmerInnen hatten die großartige Idee, auch Unsympathen mit in ihre Liste aufzunehmen. Diesen Gedanken habe ich aufgegriffen und mir überlegt, welcher Bösewicht bei mir einen so bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Sicher, da bietet die Literatur ja so einige wie Stephen Kings Annie Wilkes aus „Sie“ oder Pennywise aus „Es“, Hannibal Lecter von Thomas Harris, oder die skrupellose Cersei Lannister aus Martins „Das Lied von Eis und Feuer“. Aber kaum einer ist so ein durch und durch böses Individuum wie Henry Drax. Harpunierer auf einem Walfänger, Lügner, Dieb, Aufwiegler, Mörder und Vergewaltiger in einer Person. Selten habe ich eine so fiese Type in einem Buch erlebt, der vom Autor Ian McGuire in dem Roman „Nordwasser“ so glaubhaft zum Leben erweckt wird, dass einem schaudert. Das Buch ist an sich schon ganz großes Kino, aber Drax hat eine so starke Präsenz, dass man noch einige Zeit an ihn und seine Taten denkt.

10. Zum Abschluss wird es Zeit für eine Comicfigur.
Eine meiner Lieblingsfiguren entstammt der Lanfeust-Comicreihe. Die Truppe um Lanfeust muss eine Menge Abenteuer in einer fantastischen Welt bestehen. Fantastisch insofern, dass es eine Welt voller Magie ist und nahezu jeder Bewohner magische Fähigkeiten hat. Der Haken an der Sache, jeder verfügt nur über EINE Art von Magie. Aussuchen kann man sich die aber nicht und ob sie nützlich ist, ist wieder eine ganz andere Sache. Bei ihrer Reise gerät die Truppe um Lanfeust, seine Verlobte C’ian, ihre Schwester Cixi und deren Vater Nicolas in die gefährlichsten und aberwitzigsten Abenteuer. Zum Glück haben sie einen durch Zauberkraft halbwegs gezähmten Troll dabei. Hebus, mein Liebling der Serie, liebt Bier, Essen und Schlägereien – in welcher Reihenfolge auch immer. Er ist für mich so eine Art bösartiger Obelix für Erwachsene. Für Erwachsene, weil die Reihe wirklich nichts für Kinder ist. Wenn Obelix zuschlägt liegen die Legionäre nur benommen am Boden, bei Hebus aber steht keiner mehr auf. Es gibt ziemlich brutale Szenen und die Serie ist politisch so was von unkorrekt, aber auch immer lustig und toll gezeichnet. Ich würde die Serie als ein Mix aus heroischer Fantasy (in der zweiten Staffel auch SF), Asterix und, den Humor betreffend, Scheibenwelt bezeichnen. Es gibt auch noch Spin-Offs und auf die freue ich mich riesig – mein Portemonnaie weniger, denn billig sind die qualitativ sehr hochwertigen Ausgaben vom Splitter Verlag nicht gerade. Aber Hebus und Konsorten sind es mir wert.

Du hast bis hierher durchgehalten? Dann vielen herzlichen Dank fürs Lesen! :-)