Um was geht es in „München“ von Robert Harris?

Während Hitler, Chamberlain, Mussolini und Daladier im September 1938 das Münchner Abkommen schließen, treffen sich in ihrem Gefolge zwei alte Jugendfreunde. Hugh Legat, Privatsekretär des britischen Premierministern, und Paul von Hartmann vom Auswärtigen Amt in Berlin studierten gemeinsam in Oxford und sehen sich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder. Während Legat davon überzeugt ist, dass sich noch eine friedliche Lösung finden lässt, weiß von Hartmann, der Teil einer Widerstandsgruppe ist, genau, dass Hitler den Krieg will. Die Beweise dafür will er den Briten zuspielen und begibt sich dabei in größte Gefahr.

In „München“ verbindet Robert Harris echte Historie mit der fiktiven Geschichte zweier Figuren, die er in einen brisanten Rahmen setzt. Das macht Harris ganz geschickt: Er konstruiert Hugh Legat und Paul von Hartmann so, dass sie in diesen geschichtlichen Kontext passen – ganz so, als hätte es sie tatsächlich gegeben. Nur dann, erzählte der Autor einmal in einem Interview, seien sie glaubhaft.

München von Robert HarrisDas „was wäre wenn“ ist allerdings nur ein Teil von „München“. Sehr viel Wert legt Robert Harris auf die tatsächlichen Begebenheiten. Dafür recherchierte er akribisch, durfte sogar Adolf Hitlers Münchner Wohnung besichtigen, in der heute eine Polizeiwache ihren Sitz hat. Die Genauigkeit, die Harris seinem Werk angedeihen lässt, und die Darstellung der echten Charaktere, sind lobenswert. Besonders Chamberlain ist gut getroffen. Doch die fiktiven Protagonisten wirken dafür fast ein wenig zu bemüht in die Geschichte gesetzt. Trotz des enormen Recherche-Aufwands bleibt auch die Figur des Paul von Hartmann nur eine Folge von Fakten. Hintergrund der Figur ist der reale Widerstandskämpfer Adam von Trott zu Solz. Robert Harris beschreibt sein Aussehen, Stationen seines Lebens und selbst seinen Tod sehr genau. Doch das allein macht weder von Hartmann noch Legat zu Figuren mit sonderlich viel Tiefgang.

Wer der Zuordnung „Thriller“ glaubt, liegt mit „München“ falsch. Einen Politthriller mag man das Buch nennen, wenn man den buchstäblichen Thrill tatsächlich aus der Politik, nicht aus spannungsgeladenen Elementen bezieht. Denn davon enthält dieser Roman erstaunlich wenig. Ausführlich beschreibt Robert Harris Kleidung, Sitzordnung, Mimik der Politiker, detaillierte Beschreibungen etlicher Räume und Bauwerke – dieser Detailreichtum ist bisweilen arg ermüdend. Dabei ist Harris ein begnadeter Erzähler, dessen Talent für Spannung sich leider in diesem Roman nur äußerst selten zeigt.

Allzu oft liest sich „München“ fast wie ein Sachbuch. Zwar eines, das historische Ereignisse wirklich anschaulich darstellen kann, aber eben nicht wie der Roman, als den der Verlag dieses Buch bewirbt. Die Rahmenhandlung, das Münchner Abkommen, überlagert die Geschichte zweier Freunde, die im Grunde das gleiche Ziel haben und dabei sehr unterschiedliche Wege wählen, um es zu erreichen. Leider bleiben die Figuren aber allzu blass, obwohl hier großes Spannungspotenzial liegt. Denn auch wenn Robert Harris versucht, mit „München“ einen anderen, tieferen Blick auf die Verhandlungen 1938 zu werfen, so sind seine Ausführungen wohl nur für jene Leser interessant und spannend, die sich wirklich tiefgreifend mit diesem Moment der Geschichte beschäftigen möchten. Worauf Harris dabei tatsächlich hinaus will, ist eine Art Ehrenrettung Chamberlains. Denn einen Krieg zu verhindern, so die Ansicht des Autors, ist jeden Versuch wert.

Mein Fazit zu dem Roman „München“:

Einen Versuch wert ist sicher auch der Roman „München“ – immer vorausgesetzt, man lässt sich nicht, wie ich, von dem Thriller-Etikett blenden. Wem es gefällt, wie Robert Harris seine exzellenten, in mühsamer Recherchearbeit erworbenen Kenntnisse in detaillierten Beschreibungen umsetzt, wird an dem Buch seine Freude haben. Auch Lesern, die gern besonders tief in historische Ereignisse eintauchen, sei der Roman empfohlen. Alle anderen greifen besser zu einem anderen Buch des Autors – denn dass er spannend schreiben kann, hat er schon oft genug bewiesen.

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Produktinfos:

Verlag: Heyne

Seiten: 432

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