Das hier besprochene Buch „Mercy Seat“ von Elizabeth H. Winthrop erschien am 26.01. 2018 im Verlag C.H. Beck.

Um was geht es in „Mercy Seat“ von Elizabeth H. Winthrop?

1943, in einer kleinen Stadt in Louisiana: Den 18-jährigen Will Jones erwartet der Tod durch den elektrischen Stuhl (Mercy Seat = Stuhl der Gnade). Er, ein Schwarzer, soll ein weißes Mädchen vergewaltigt haben. Es gibt einige, die an seiner Schuld zweifeln. Nur Will kennt die Wahrheit: Tatsächlich hatten die zwei eine Beziehung. Doch Scham und Verzweiflung waren zu groß – seine Geliebte brachte sich um, als sie entdeckt wurden. Will fühlt sich schuldig. Während er in seiner Zelle wartet, muss der elektrische Stuhl erst noch in den Ort gebracht werden. Währenddessen transportiert sein Vater einen Grabstein auf einem alten Maultier, der Staatsanwalt prüft sein Gewissen ob der Verurteilung und dessen Ehefrau beharrt darauf, dass Will unschuldig sei.

Mercy Seat von Elizabeth H. WinthropMultiperspektive nennt man die Erzählform, die Elizabeth H. Winthrop für „Mercy Seat“ gewählt hat. Neben den bereits genannten Personen wechselt die Geschichte immer wieder aus Sicht noch weiterer Protagonisten, die mal mehr, mal weniger direkt mit Will und der Hinrichtung zu tun haben. Es ist ein Kunstgriff, der die unterschiedlichsten Blickwinkel auf ein Thema zeigt und die Dramatik des Geschehens erhöht. Die Stunden vergehen langsam in „Mercy Seat“, aber sie vergehen unaufhaltsam. Auf diese Weise gelingt der Autorin ein gelungenes Portrait einer Stadt und ihrer Gemeinde, sowie dem vorherrschenden Rassismus dieser Zeit und speziell an diesem Ort in den Südstaaten. Die einzelnen Figuren nehmen alle ihre spezifische Rolle ein in dieser dichten, aufrüttelnden Story. Sie erlauben damit einen tiefen Einblick in die Denkweise der Menschen, ohne dabei zum Klischee zu werden und somit vielleicht gewisse Erwartungen des Lesers zu erfüllen.

Louisiana ist nah in diesem Buch: Elizabeth H. Winthrop pflegt einen bildhaften, melancholischen Stil, der die Hitze, den unterschwelligen und allgegenwärtigen Rassismus, die Armut und die monotonen Baumwollfelder sehr plastisch darstellt. Nicht nur Will ist ein Gefangener in dieser Geschichte. Wer hier lebt, zu dieser Zeit und an diesem Ort, hat wenig Perspektiven. Andere wiederum sind Gefangene ihres Denkschemas oder ihrer persönlichen Lebensumstände. Noch ein weiteres Thema durchzieht den Roman: Die Beziehung von Vater und Sohn ist ein starkes Motiv, das in verschiedenster Ausprägung vorkommt.

All das muss man wissen, bevor man sich „Mercy Seat“ widmet, denn ein Justizthriller, ein Krimi, oder ein Spannungsroman ist das Buch nicht, oder höchstens am Rande von all dem ein wenig. Ich hatte eine Art John-Grisham-Geschichte erwartet, einen Gerichtsroman oder ähnliches. Weit gefehlt. „Mercy Seat“ ist ein anspruchsvoller, historischer Roman mit einem zwar moralischen Anspruch, doch kommt dieser nicht mit dem erhobenen Zeigefinger. Was der Leser daraus macht, bleibt ihm am Ende selbst überlassen. Spannung zieht die Geschichte allein daraus, dass die Zeit unaufhaltsam zur Mitternacht drängt – dem Zeitpunkt, an dem die Hinrichtung stattfinden soll. Jede einzelne handelnde Figur hat ihre Geschichte, die sich diesem Höhepunkt nähert. Wer sich auf die Handlung einlässt, erlebt bald eine ähnliche Hilflosigkeit wie die Charaktere, denn aufhalten lässt sich die Zeit nicht.

Mein Fazit zu dem Buch Mercy Seat:

„Mercy Seat“ beruht lose auf einer wahren Begebenheit, was sich auf das überraschende, gleichzeitig aber auch offene Ende des Romans bezieht. Es lässt viel Raum für Spekulationen, vor allem aber regt es auch über das Buch hinaus an, sich über ethische und moralische Fragen Gedanken zu machen. Das ist wohl der größte Verdienst einer Fiktion, und dies gelingt nur wenigen Romanen. „Mercy Seat“ ist so ein Roman: Eine kleine Perle, in einem sehr ruhigen Stil verfasst, mit einer bewegenden und vielschichtigen Handlung. In nur 251 Seiten erzählt Elizabeth H. Winthrop in vielen, zum Teil sehr  kurzen Kapiteln, aber anschaulich so viel, wie manch anderer Autor nicht in doppelt so viele Seiten unterbringt.

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Produktinfos:

Verlag: C.H.Beck

Seiten: 251

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